Studien- und Abenteuerreise 1986: Russland und Mittelasien

Nur mit Zug und Transitvisum 6.600 km von Greifswald bis nach Mittelasien (Alma Ata / Kirgisien; Samarkand, Buchara / Usbekistan)

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Tausende Kilometer mit Zug, Bus, Flugzeug: Taschkent – Mineralnyje Wody, Trampen durch den Kaukasus: Mineralnyje Wody – Tiflis, mit dem Bus von Tiflis über die Schwarzmeerküste, Odessa, Kischinau zurück

Vier Wochen Urlaub nach bestandenen medizinischen Examen und bis zum Antritt der ersten Arbeitsstelle an der Uni Greifswald sowie mit einem Transitvisum ausgestattet, sollte es diesmal nicht in die gewohnte Urlaubsrichtung nach Ungarn oder Bulgarien gehen, sondern noch weiter nach Osten: und zwar – so weit es nur ging.

So etwas versuchten bzw. taten gleich mir auch andere Abenteuerlustige Landsleute, die danach gleichwohl viel zu erzählen hatten …

Um ins Land des „großen Bruders“ zu kommen, in dem gerade der Beginn von „Glasnost und Perestroika“ für Unbehagen bei den „Oberen“ im Land des „kleinen Bruders“ (DDR) sorgten, war allerdings ein „Transitvisum durch Russland (UdSSR)“notwendig, das beispielsweise für Reisen nach Rumänien mit ausgestellt wurde, da der Zug dorthin einige Stunden durch russisches Gebiet fahren musste. Dieses Visum berechtige für den Aufenthalt auf russischem Gebiet von bis zu 24 Stunden. Dieser Weg war praktisch die einzige Möglichkeit, in dieses riesige Reich mit mehreren Klimazonen zu kommen, das sonst nicht allein als Individualtourist bereist werden durfte, sondern nur mit persönlicher Einladung oder als Teil einer Reisegruppe.

Und so war, da ein offizielles Reisedokument fehlte, dringend gutes Schulrussisch und gehörig Stehvermögen bei stundenlangen Warten an den Ticketschaltern gefragt, damit man nicht auffiel und möglichst weit kam.

Ich erreichte nach 7 Tagen und 6.600 km Zugfahrt Alma Ata und Medeo mit der dortigen Hochgebirgseisbahn, deren dünne Luft für schnelle Zeiten und Weltrekorde genutzt wurde. Dort fiel ich schnell als Alleinreisender auf und wurde von der Miliz festgehalten. So konnte ich zwei Hallenser Studentinnen, die ich auf der Zugfahrt in Saratow traf und die weiter zum Ysyk-Köl See wollten, nicht weiter begleiten.

Ich sollte direkt abgeschoben werden. Dafür wurde mir fast mein komplettes Geld abgenommen und ein Ticket für den Rückflug zur Verfügung gestellt. Seitens der Miliz wurde jedoch mein Wunsch erfüllt, nach so langer (An)Fahrt, wenigstens noch das Lenindenkmal in Alma Ata besuchen zu dürfen. Die Miliz war sich sicher, dass ich quasi ohne Geld nicht weit kommen würde. Und so konnte ich mich ab- und meine Reise fortsetzen. Mein Ziel jetzt: die berühmte Medrese „Ulugh Bek“ in Samarkand. Nach stundenlanger Busfahrt bei 35°C im Schatten erreichte ich die einst berühmteste Hochschule in Mittelasien, an der im 15. Jahrhundert Mathematik und Astronomie gelehrt wurden.

In Buchara traf ich in einer Teestube auf die mir Gleichgesinnten Eddi und Algis, zwei Studenten aus Litauen, die ihrerseits gerade nach einem langen Trip durch die Wüste von Baku kommend in dieser Märchenstadt ankamen.

Ich hatte gerade zufällig den nahegelegenen Tudakul See entdeckt, der herrlich erfrischendes Süsswasser bot, und bekam freundlicherweise von den dortigen Rettungsschwimmerkollegen den Schlüssel ihres Diensthäuschens zum Übernachten. So konnte ich die beiden, die statt Zelt und Schlafsack nur in Baku erstandene Vinylplatten im Gepäck hatten „zu mir“ an den See einladen.

Elbrus
Elbrus

Für 15 Rubel ging es dann per Flugzeug mit Bauern und ein paar Haustieren an Bord von Buchara nach Taschkent und für 50 Rubel von dort nach Min. Wod. Das Trampen durch den Kaukasus mit dem Abstecher zum Elbrus war ebenso abenteuerlich und nicht ungefährlich, allerdings und glücklicherweise ohne die vielen Grenzen, die es heute dort gibt und eine solche Tour glatt unmöglich machen würden. In Batumi wurde ich, leichtsinnigerweise in kurzen Hosen unterwegs, wieder von der Miliz festgesetzt und stundenlang verhört. Aber auch der jeweils angerufene Chef vom Chef konnte nichts mit mir anfangen und so lies man mich ziehen. Allerdings sollte ich nicht die Landstrasse entlang wandern. Die Miliz wies einen Busfahrer an, mich mitzunehmen und an meinem Zielort jeweils einem Bus zu übergeben, damit ich von der Strasse runter und endlich meine Gruppe erreichen konnte, zu der ich ja wollte. Eine Anweisung von Staatswegen, die mir ausnahmsweise sehr entgegen kam.

Alleinreisen, das konnte sich keiner der dortigen durchweg liebenswerten Menschen vorstellen, aber schnell zu meiner Gruppe aufzuschließen: dies unterstützte Jeder. Mit diesem Trick ging es ab Sotschi alles recht einfach und ich brauchte mich ums Weiterkommen von dort ab nicht mehr zu sorgen.

Ich kam gesund und voller Eindrücke nach Hause zurück. Mein neuer Chef in der Klinik seines Zeichens auch SED Parteisekretär des Orthopädenverbandes (so was gab es), wusste bei meinem Dienstantritt freilich schon über SED-Partei-, und Stasikanäle von meinem Abenteuer und verwarnte mich schon bei meiner Begrüßung. Wir sollten keine Freunde mehr werden.

Die Reise allerdings war ein Geschenk und blieb (was ich damals schon ahnte) auch im Vergleich mit den Trips nach Fall der Mauer drei Jahre später, dann mit Deutschem Pass und Kreditkarte in der Tasche – einzigartig.